Ein breites Bündnis fordert Kinderrechte ins Grundgesetz – aber richtig!
Das Grundgesetz ist die deutsche Verfassung. Es ist das leitende, über allen anderen deutschen Rechtsnormen stehende Gesetz und gilt für alle Bürgerinnen und Bürger. Kinder und Jugendliche haben jedoch besondere Bedürfnisse und brauchen deshalb über die allgemeinen Grundrechte hinaus besondere Rechte – ein Prinzip, das mit der UN-Kinderrechtskonvention auf internationaler Ebene bereits seit über 30 Jahren gilt.
Deutschland hat 1992 die UN-Konvention über die Rechte des Kindes ratifiziert. Damit ist Deutschland gemäß Artikel 4 der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet die Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention in nationales Recht umzusetzen und sicherzustellen, dass Grundsätze und Vorschriften effektiv durchgesetzt werden. Jedoch hat die Konvention in Deutschland nur den Rang eines einfachen Bundesgesetztes und steht normenhierarchisch unterhalb der Verfassung. Die vier Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention – das Recht auf Nicht-Diskriminierung, den Vorrang der Berücksichtigung des Kindeswohls (best interests of the child), das Recht des Kindes auf Leben und Entwicklung sowie das Recht auf Gehör und Berücksichtigung der Meinung des Kindes (Beteiligung) – werden jedoch nicht hinreichend abgesichert, abgesehen vom Schutz vor Diskriminierung nach Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes. Wenn es zu Konflikten zwischen der UN-Kinderrechtskonvention und dem Grundgesetz kommt, hat das Grundgesetz demnach Vorrang. Dadurch finden die Rechte und Belange von Kindern und Jugendlichen bei Entscheidungen von Politik, Verwaltung und der Rechtsprechung immer noch zu wenig Berücksichtigung. Daher ist es besonders wichtig, Kinderrechte in der Verfassung zu stärken.
In 15 von 16 Verfassungen der Bundesländer, außer in Hamburg, finden sich Kinderrechte in unterschiedlicher Ausprägung verankert. Der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien von 2018 sieht die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz als Grundrecht vor.
Im Januar 2021 legte die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf vor, der aus der Sicht der Zivilgesellschaft und vielen Politiker:innen zu weich, unzureichend und zu auslegungsoffen ist. Denn die schwache Formulierung fällt hinter der UN-Kinderrechtskonvention, Art. 24 der europäischen Grundrechtecharta und der geltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zurück.
Warum Kinderrechte ins Grundgesetz?
Kinder und junge Menschen haben ein Recht darauf, bei Angelegenheiten, die sie betreffen, gehört und in ihre Entwicklung gefördert zu werden. Auch die Berücksichtigung des Wohl des Kindes (the best interest of the child) als ein vorrangiger Gesichtspunkt bei allen Entscheidungen, die Kinder betreffen, muss eine Leitlinie für alle politischen Entscheidungen gelten. Gerade die COVID-19 Pandemie hat gezeigt, wie dringend notwendig es ist, junge Menschen in politischen Entscheidungen anzuhören und mitzudenken. Die ausdrückliche Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz würde eine für alle Rechtsgebiete geltende Vorgabe schaffen, die normhierarchisch über den einfachen Bundesgesetzen stünde.
Die, wie im Entwurf, vorgeschlagene “angemessene Berücksichtigung” des Kindeswohls ist eine schwache verfassungsrechtliche Formulierung. Auch die Rechte auf Förderung und Beteiligung sind schwach formuliert. Kinderrechte ins Grundgesetz würde das Kindeswohl in den Vordergrund rücken und ihre Beteiligung fördern, z.B bei der Planung von Wohnvierteln oder beim Straßenbau. Oder gegenüber dem Staat zu fordern, kindgerechte Lebensverhältnisse herzustellen und für gleiche Entwicklungschancen zu sorgen – gerade mit Hinblick auf die steigenden Ungleichheit und Kinderarmut in Deutschland. Eine Einschränkung der Elternrechte, wie von einigen befürchtet, würde bei einem eigenen Absatz nicht stattfinden, da Grundrechte sich immer gegen den Staat richten.
Kinderrechte ins Grundgesetz – aber richtig!
Gemeinsam mit einem breiten Bündnis von mehr als 100 Organisationen kritisieren wir den vorgelegten Gesetzentwurf als unzureichend, da er Kinderrechte nicht stärkt, sondern eher schwächt. Wir fordern mit diesem Appell die Bundestagsfraktionen und die Bundesländer auf, sich bis zur Sommerpause auf ein Gesetz zur Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz zu einigen, welches, so der Appell:
„Eine Grundgesetzänderung muss zu einer Verbesserung der Rechtsposition von Kindern in Deutschland beitragen. Sie darf in keinem Fall hinter die UN-Kinderrechtskonvention, Art. 24 der europäischen Grundrechtecharta und die geltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zurückfallen, die spezifische Kinderrechte gegenüber dem Staat anerkennt. Wir fordern nun eine zügige Einigung unter Einbezug der Zivilgesellschaft einschließlich von Kindern und Jugendlichen, die diesen Eckpunkten Rechnung trägt. Denn Kinderrechte gehören ins Grundgesetz – aber richtig!“.
Für Verfassungsänderungen ist in Bundestag und Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit notwendig.
Der gemeinsame Appell „Kinderrechte ins Grundgesetz – aber richtig!“ inklusive der unterzeichnenden Organisationen finden Sie hier zum Download
Wir haben Ihnen zu diesem Thema einige Links zusammengestellt:
https://kinderrechte-ins-grundgesetz.de/
https://netzwerk-kinderrechte.de/
Und hier zum Hintergrundpapier: https://netzwerk-kinderrechte.de/publikation/hintergrundpapier-zum-hamburger-appell/