Intro: Hallo und herzlich willkommen bei The Good Council, dem Podcast des World Future Council. In jeder Folge werden wir aktuelle Herausforderungen und politische Lösungen aufzeigen. Und wir nehmen Sie mit auf eine Reise voller inspirierender Geschichten. Hören Sie sich einen weiteren unserer generationenübergreifenden Dialoge aus aller Welt an.
Hallo, mein Name ist Raina Ivanova, und ich bin Repräsentantin des Jugendforums Youth: Present. In dieser Episode spreche ich mit Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker. Ernst ist ehemaliger Vorsitzender des Bundestag Umweltkomitees, Ehrenpräsident des Club of Rome, und ehemaliger Dekan der Bren School of Environmental Science and Management an der University of California, Santa Barbara. Er studierte Physik in Hamburg und promovierte in Biologie im Jahre 1968 an der Universität Freiburg. In den 70er Jahren war er Professor für Biologie an der Universität Essen und Präsident der Universität in Kassel, bevor er Direktor des UN Centre for Science and Technology in New York wurde. Von 1984 bis 1991 war er Direktor des Instituts für Europäische Umweltpolitik in Bonn, Paris und London und von 1991 bis 2000 war Prof. von Weizsäcker Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie. Von 1998 bis 2005 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und leitete von 2002 bis 2005 den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Er ist Autor vieler Bücher, darunter Factor Five und wurde 2008 mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet. Er ist Ehrenmitglied des World Future Councils.
Raina: Vielen Dank, dass Sie heute hier sind.
Prof. Dr. Weizsäcker: Ja vielen Dank. An meinem Lebenslauf haben Sie ja erfahren, dass ich vollkommen wahnsinnig bin. Immer wieder was Neues.
Raina: Man merkt auf jeden Fall, dass sie einen sehr starken Wissenschaftsfokus haben. Was begeistert Sie denn so sehr an der Naturwissenschaft?
Prof. Dr. Weizsäcker: Ach, ich war einfach sehr neugierig. Schon als Kind sah ich Raupen und die haben sich verpuppt und plötzlich waren es Schmetterlinge. Unglaublich, was sich da alles tut. Pflanzen haben mich nicht so sehr interessiert, aber Tiere immer. Und dann wollte ich Biologe werden und dann sagte mir ein alter weiser Mann: „Wenn du Biologie studieren willst, darfst du nicht Biologie studieren. Dann musst du erstmal was Seriöses machen. Chemie, Mathematik, Physik oder meinetwegen Medizin und dann wirst du später Biologe“. So habe ich es gemacht.
Raina: Sie haben durchaus auch einen Fokus auf die Umwelt. Sie waren unter anderem Teil des Ausschusses für Umwelt im Bundestag. Im Mai ist nun das Klimaschutzurteil gefallen, durch diese Verfassungsklage. Und wir wissen ja das die Lage mit dem Klimaschutz in Deutschland durchaus kritisch ist. Wie sehen Sie das und denken Sie das dieses Urteil etwas verändern kann?
Prof. Dr. Weizsäcker: Da gibt es erstmal ganz viele Antworten. Die eine ist, dass die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze wollte, genau dieses ehrgeizige Gesetz, aber das konnte sie mit dem Koalitionspartner von der CDU, vor allem der Wirtschaftsvereinigung der CDU nicht durchsetzen. Also wurde dann ein Kompromiss gefunden. Dann hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, dass ist aber nicht gut genug für künftige Generationen. Das ist rechtlich eine ganz neue Sache, dass das Verfassungsgericht sagt, die Politik muss nicht nur die an die heute lebenden Menschen denken, sondern auch an die Zukunft, die vielleicht noch nicht Geborenen. Und dafür ist es nicht ehrgeizig genug. Ich habe Svenja Schulze, die Ministerin, begeistert gehört über dieses Gesetz. Jetzt mit Rückendeckung des Bundesverfassungsgesetzes können wir endlich das machen, was wir sowieso wollten.
Raina: Denken Sie denn, dass dieses neue Urteil ausreichend ist, damit wir unseren nationalen Klimaziele einhalten können?
Prof. Dr. Weizsäcker: Die nationalen Klimaziele, die wir 2015 in Paris zugesagt haben, dass kriegen wir einigermaßen hin. Besser als die Mehrzahl der anderen Länder. Trotzdem kann man auch hier noch ehrgeiziger werden und da finde ich es sehr gut, dass die Grünen und die SPD der Meinung sind, ja wir müssen noch ehrgeiziger werden. Jetzt will man ja die Klimaneutralität nicht mehr erst 2050, wie in Paris versprochen, sondern 2045 hinkriegen. Jetzt müssen wir nur noch darauf achten, dass das Erreichen dieses ehrgeizigeren Zieles nicht mit Missbrauch oder falschen Tatsachen erreicht wird. Also zum Beispiel, wenn einer zu viel CO2 auspustet oder andere Treibhausgase und dann kauft er sich, Landgrabbing nennt man das, ein Stückchen Afrika und baut da eine Eukalyptus Plantage hoch. Die nimmt ein bisschen CO2 auf und dann sagt er: Schaut mal, alles Klimaneutral. Die Eukalyptus-Plantage egalisiert was ich dazu viel gemacht habe. Das ist idiotisch. Und das passt nicht nach Afrika. Das macht die Böden kaputt. Das macht die biologische Vielfalt kaputt. Macht viele Tiere kaputt. Das darf man nicht in einer einfachen Gegenrechnung als Erreichung des Klimaschutzzieles anbieten.
Raina: Nun haben viele damit gerechnet das dieses Urteil gar nicht gefällt werden wird, weil es mit Klimaschutz seit langem sehr kritisch aussieht und meiner Meinung nach noch immer sehr kritisch aussieht. Was glauben Sie was dieses Urteil über unsere Gesellschaft aussagt?
Prof. Dr. Weizsäcker: In der Bevölkerung gibt es eine verbreitete Stimmung. „Wir wollen in Ruhe gelassen werden. Wir wollen nicht immer noch mehr tun für Leute, die wir nie kennen lernen.“ Also unsere Urenkel oder sowas. Ich habe als ich in Amerika war einen Cartoon, also so eine Witzgeschichte gesehen. Da war ein Kino abgebildet. Das hatte zwei Filme im Angebot. Das eine war der Film von Al Gore, früherer Vizepräsident der Vereinigten Staaten und das hatte den Titel „An Inconvenient Truth“, also eine unbequeme Wahrheit und das andere Kino hatte im Angebot „A reassuring lie“ eine Beruhigungslüge. Und dann, wo die Leute reingehen. Also alle gehen in die „reassuring lie“. Also das Volk möchte der Wahrheit nicht so gern ins Auge gucken und Politikerinnen und Politiker, die zu ehrgeizig sind, werden gnadenlos abgewählt. Das ist das Problem. Aber immer nur die Schuld bei den Politikern zu suchen, das ist mir zu einfach.
Raina: Sie waren ja selbst einmal Politiker in der SPD ist das richtig?
Prof. Dr. Weizsäcker: Ja
Raina: Und das ist ja oft, dass in unserer Gesellschaft sehr radikalere Ansätze sehr früh schon abgelehnt werden, weil Leute es nicht mögen ruckartig Veränderungen durchzuleben. Wie denken Sie ist es möglich trotzdem diese Veränderungen erzeugen zu können?
Prof. Dr. Weizsäcker: Also ich habe eine Zeit lang in einer Arbeitsgruppe als Leiter gearbeitet in China. Als Berater des chinesischen Ministerpräsidenten. Ich war Leiter der Arbeitsgruppe über ökonomische Instrumente für Energieeffizienz und Umweltschutz. Und dort habe ich folgendes, auf ihre Frage geantwortet. Wir machen eine lang Frist Preissteigerung, aber jedes Jahr nur gerade so viel wie das Volk gut aushalten kann und die Industrie. Also wenn die Energie effizienter wird, im Jahr 2022 dann wird 2023 die Energie umso so viel Prozent teurerer wird, wie die Effizienz zugenommen hat. Also das das Geld was man pro Monat für die Energie Dienstleitungen ausgibt nie mehr wird. Nur die reichen Familien, die kriegen diesen Effizienz-Fortschritte eher als die Armen, da muss man dann was politisch machen, damit die Armen nicht die Verlierer sind. Das ist aber dann eine weitere Sache. Jedenfalls, wenn man dieses in China, wo die Leute ja langfristig denken auf 20, 30, 40 Jahre festlegt, dann werden die Investoren und Ingenieure heute schon das machen, was in 20, 30, 40 Jahren nötig ist. Das heißt also weitestgehend schmerzlos, aber ungeheuer wirksam in der langen Frist.
Nur wenn ich das in Deutschland, Frankreich oder in Uruguay oder Malaysia. Dann werden die Leute sagen, wenn alle vier Jahren Wahlen sind, dann wird doch die neue Regierung das ganz schnell stoppen. Dann sage ich: Dann müssen wir dafür sorgen, dass zum Beispiel durch einen Verfassungsartikel, diejenigen Dinge, die für die lang Frist gemeint sind, nicht abhängig sind von den jeweiligen Wahlen. Das wäre doch auch mal eine Lösung. Dann hätten wir also zwei Ziele erreicht. Erstmal eine sehr starke Klimapolitik und zweitens weitestgehend Schmerzfreiheit.
Raina: Sie haben gerade gesagt, dass dieser Prozess circa 40 Jahre gedauert hat. Das ist ja schon längerfristig. Denken sie denn, dass das ein Lösungsansatz für die Klimakrise wäre, vor allem bedenken wir das die größte Ressource die uns fehlt, Zeit ist?
Prof. Dr. Weizsäcker: Natürlich hätte ich es auch gerne, wenn das ganze sehr viel schneller geht. Aber wenn das nur dazu führt, dass die Parteien, die sich dafür eingesetzt haben, automatisch bei der nächsten Wahl weggewischt werden, dann ist das eine Springprozession. Zwei Schritte vorwärts und wieder einen Schritt zurück. Das ist nicht besonders gescheit. Deswegen will ich lieber etwas, was gerade noch für die Mehrheit akzeptabel ist, ganz wenig wehtut, aber was für die junge Generationen eine exzellente Zukunftsperspektive wird.
Raina: Denken Sie denn, dass die Klimakatastrophe noch aufzuhalten ist?
Prof. Dr. Weizsäcker: Ich glaube, dass die Maßnahmen, die ich politisch vorgeschlagen habe, also mit dem Schrittchen weise vorwärts gehen, aber konsequent. Dass das eine tolle Chance bietet, dass es zu den katastrophenartigen Zusammenbrüchen nicht kommen wird. Es wird große Veränderungen geben. Die Landwirtschaft muss sich ändern, die Forstwirtschaft muss sich ändern. Die Art wie man Städte baut, da braucht man wieder etwas mehr grün. Das sind Dinge, diese Sorte Anpassung gibt es immer mal wieder, das halten wir aus.
Raina: Nun ist Klimaschutz ja nicht eine Sache, die meine Generation angefangen hat, sondern das gab es ja schon durchaus mehrere Jahrzehnte davor. Aber trotzdem ist der Ansatz auf eine gewisse Art neu. Finden Sie das sich die heutige Klimabewegung mit der vor 30 Jahren vergleichen lässt?
Prof. Dr. Weizsäcker: Vor 30 Jahren waren 5% der Bevölkerung davon überzeugt, dass es einen Klimawandel gibt und das der problematisch ist und 95% der Bevölkerung haben gesagt, dass ist alles dummes Geschwätz von diesen komischen Wissenschaftlern. Und heute nach drei sehr trockenen Sommern und Waldbränden im Amazonas, in Australien, in Sibirien in Alaska und eben auch in Deutschland. Hat die Weltbevölkerung aufgeschreckt. Und jetzt sind etwa 60-70% der Bevölkerung der Meinung. Ja es leider gibt es eine Klimaerwärmung mit zum Teil sehr weitreichenden Folgen. Sie haben eben in meiner Einführung gesagt ich sei in Santa Barbara gewesen, in Kalifornien. Da war ich drei Jahre lang und viele meiner Freunde, die dort gelebt haben, haben ihre Häuser verloren. Und deswegen sind gerade in Kalifornien eine dicke Mehrheit der Menschen der Meinung, wir müssen mehr tun.
Raina: Als jüngerer Mensch merke ich, dass gerade in meiner Generation momentan viele ihre Einstellung ändern. Wenn ich zum Beispiel damit vergleiche, wie meine Großeltern oft das Thema Klimaschutz angehen dann merke ich ja schon das ist etwas revolutionäres, wie Klimaschutz heute vonstattengeht. Haben Sie irgendwelche Tipps oder Ratschläge an jüngere Leute, denn Sie bringen ja sehr viel Lebenserfahrung mit.
Prof. Dr. Weizsäcker: Also erst einmal finde ich es wundervoll, wenn es einen Dialog zwischen den Alten und den Jungen gibt. Und dass die Alten nicht so tun als seien die Jungen noch in den Windeln. Und dass die Jungen nicht so tun als seien die Alten völlig vertrocknet. Denn manchmal ist es genau umgekehrt. Beides ist erklärungsbedürftig und die Kommunikation ist sehr wichtig. Ich rede mit meinen Enkeln sehr oft darüber und die holen sich ihren Rat bei mir ab, weil ich manches auch schon weiß, da ich ja mal Wissenschaftler war. Gleichzeitig merke ich, dass bei den Jungen noch eine gewisse Bereitschaft vorhanden ist, jetzt alles mal anders zu machen. Ich habe mich mit Greta Thunberg angefreundet und mit Luisa Neubauer. Die sprechen für ihre Generation, wobei auch nicht mehr als die Hälfte der Jungen so denken. Die andere Hälfte sitzt da und „dattelt“ und streamt, die machen irgendwelche andere Sache. Die eigentlich mit Klimaschutz nichts zu tun haben und langweilen sich einfach.
Raina: Sie haben da gerade auch noch ein anderes Problem angesprochen, was ich persönlich auch sehr stark wahrnehme. Also das Klimaschutz manchmal auch nur in diesen Bubbles passiert. stattfinden. Also ich persönlich würde sagen, dass ich mich in einer dieser „Klimaschutzbubble“ befinde, wo viele meiner Freunde einfach sich für den Klimawandel interessiert und sich dafür interessieren ihr Leben so zu verändern, dass sie dagegenwirken können. Aber für viele ist das noch sehr unzugänglich. Auch als Politiker wie denken Sie denn, dass Klimawandel für alle zugänglicher gemacht werden könnte?
Prof. Dr. Weizsäcker: Wenn man immer mal wieder Schreckensfilme zeigt, immer mal wieder. Die einem bildlich zeigen, was auf einem zukommen kann, wenn das Grönlandeis ins Meer rutscht oder sowas in der Art. Das wäre ja für die Stadt Hamburg fürchterlich. Wenn man die potenzielle Realität in Bildform vor sich sieht und dann denkt, das ist zwar nur ein Film. Aber wenn die Realität so wird, das wollen wir doch lieber verhindern. In Deutschland sind wir so reich, wir können Deiche bauen. In Bangladesch geht das nicht. Etwas die Hälfte von Bangladesch wäre unter Wasser, das wären dann 50 Millionen Menschen. Und dann haben wir ein Flüchtlingsproblem, das ist 20- bis 100-mal größer als das Flüchtlingsproblem von 2015. Und schon damit sind wir ja 2015 politisch fast nicht fertig geworden.
Raina: Bei mir war es auch tatsächlich auch ein Schreckensfilm, der mich motiviert für den Klimaschutz tätig zu werden. Und zwar auch der von dem sie gerade gesprochen haben: „An inconvenient Truth“ von Al Gore. Da war ich auch 12 Jahre alt und als ich gesehen habe, dass Hamburg theoretisch unter Wasser stände, wenn die Meeresspiegel weiter so ansteigen, war es auch für mich zum ersten Mal etwas greifbarer, dass der Klimawandel nicht nur im globalen Süden existiert und für mich nicht nur in der fernen Zukunft spielt.
Prof. Dr. Weizsäcker: Sehr gut, dass sie den Film nicht verwendet haben, um sich mit Tränen zurückzuziehen, sondern das es Sie ermutigt hat mit Freundinnen und Freunden ihrer Generation und ein paar Alten zusammenzustehen und zu sagen: Leute das ist ein echtes Problem, da müssen wir jetzt was tun.
Raina: Nur kurz, um die Tränen anzusprechen. Es war wirklich meine erste Reaktion. Oft ist es ja auch sehr frustrierend sich für den Klimawandel einzusetzen, weil es halt als radikale Klimapolitik angesehen wird, die irgendwie sehr realitätsfern ist von dem was wir erreichen können. Wie sehen Sie es denn, ist der Ansatz oft zu radikal von jüngeren Menschen?
Prof. Dr. Weizsäcker: Ich finde es gut, dass es diese Stimme erstmal gibt. So dass Leute, die eher kompromissbereit sind wie ich, nicht als sehr radikal angesehen werden, sondern als ein freundschaftliches Angebot der Mitte. Zwischen dem was die ganz Langsamen gerade noch tolerieren können und dem was die berechtigterweise verärgerten Jungen verlangen. Und da muss man auch eine vernünftige Mitte finden. Zudem gibt es vieles was man auch technisch erreichen kann. Ich habe mit einem australischen Team zusammen ein Buch geschrieben, was denn Namen Faktor fünf hatte. Und darin beweisen wir, dass in den vier Klimawirksamsten Wirtschaftsbereiche: Gebäuden, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft eine Verfünffachung der Energieeffizienz oder auch der Stoffeffizienz möglich ist. Meine Familie und ich leben zum Beispiel in einem Passivhaus. Das hat praktisch keine Heizkosten mehr, auch im kältesten Winter. Da ist nämlich eine sehr gute Isolierung und zweitens eine Wärmeaustausch-Belüftung drin. Wenn wir in einem warmen Wohnzimmer sitzen, dann sind oben so Schlitze und da wandert die Luft raus und wandert über ein Kanalsystem nach draußen. Und während sie das tut, berührt sie physikalisch die hereinkommende frische Kaltluft, so dass dann die Kaltluft frisch, aber aufgewärmt beinah in Zimmertemperatur ins Haus kommt. Dadurch haben wir quasi keine Heizkosten mehr und ein sehr gemütliches Innenklima. Übrigens auch immer Sommer, wenn es zu heißt ist, passiert der gleiche Mechanismus umgekehrt. Denn der Boden ist ja dann kühl, dann muss man das durch den Boden leiten. Also das ist ein Beispiel von Hunderten, wie man mindesten fünfmal so effektiv sein kann. Ein anderes Beispiel ist die LED-Lampe, anstelle der alten Glühbirne. Die ist 10mal so Lichteffektiv als die alte Glühbirne. Also gemessen pro Kilowattstunde. Und die Nahrungsmittel und die normalen Produkte, Kühlschrank und was es alles gibt, kann man sehr viel effizienter machen. Das bisschen Rest was man dann noch braucht für Bewegung und für doch noch aufwärmen und industrielle Prozesse wie Stahlschmerze und so etwas, das kann man dann mit erneuerbaren Energien machen. Ich war im deutschen Bundestag, auf Initiative meines Parteifreundes von der SPD Hermann Scheer, als sie das Gesetzt für erneuerbaren Energien durchgesetzt haben. Damals kostete eine Stunde, eine Kilowatt Stunde Photovoltaik-Strom einen Euro. Heute kostet es in Deutschland nur noch 1/20. Fünf Euro Cent und in geeigneten Gegenden Afrika nur noch 2 Euro Cent. Das heißt also, was als ich in die Politik gegangen bin, ich für einen teuren Luxus gehalten habe (Ich habe trotzdem dafür gestimmt), ist heute lukrativer als Kohle, Kernenergie und Benzin. Das heißt die Technik hat sich in Richtung Klimaschutz entwickelt, man muss die Rahmenbedingungen so ändern, dass die Leute mit den richtigen Dingen Geld verdienen anstatt mit den Falschen. Und da kann man die neue Generation, die junge Generation sehr leicht überzeugen. Ja das wollen wir.
Raina: Wirtschaftswachstum ist ja eins der größten Argumente gegen strenge Klimaschutzgesetzte, denn viele Menschen sind der Meinung das Wirtschaftswachstum und Klimaschutz nicht miteinander einhergehen können. Aber sie haben ja gerade ein gutes Beispiel genannt, wie das doch möglich sein kann. Dennoch ist es so, dass viele Leute davon nicht überzeugt sind. Was würden Sie dazu sagen?
Prof. Dr. Weizsäcker: Empirisch von der Realität her, haben die Leute erstmal Recht. Es gibt eine stramme Relation Prokopf-Wohlstands Entwicklung und Co2 Ausstößen pro Kopf. Aber wenn wir dafür sorgen, dass in der Energiepolitik grüner Wasserstoff erschwinglich wird und Energieeffizienz lukrativer wird und Stoffeffizienz, also Kreislaufwirtschaft auf einmal richtig rentabel sind, braucht man längst nicht so viel Erzabbau und Verschiffung und was es alles gibt. Das heißt man kann unglaublich viel eleganter werden so dass dann Wohlstandsentwicklung und Treibhausgasemissionen auseinandergerissen werden. Das muss man erreichen, das ist dann die neue Technologie.
Raina: Sie haben ja gerade eben davon geredet, dass sie damals die nachhaltigen Technologien eher als luxuriös angesehen haben und das ist ja ein weiterer Kritikpunkt denn viele als sehr wichtig ansehen. Da oft die umweltfreundlichen Alternativen teurerer waren. Sie waren früher ja auch in der SPD und interessieren sich nehme ich mal sehr für soziale Gerechtigkeit. Wie denken Sie denn, dass man da auch etwas dagegen tun kann, dass eben die neuen Technologien nicht nur für wohlhabender Leute zugänglich gemacht werden?
Prof. Dr. Weizsäcker: Absolut richtig. Übrigens bin ich immer noch bei der SPD. Und mir ist es sehr wichtig, dass die ärmeren Menschen in der Bevölkerung nicht leiden unter Umweltschutz und Klimaschutz leiden. Die Ärmsten Menschen auf der Welt die Indigenen in Brasilien in Indien und was es so alles gibt. Die leben davon das die Umwelt gesund ist. Wenn die Umweltzerstörung überhandnimmt, dann verlieren die ihre Lebensgrundlage. Also in Bezug auf gesunde Gewässer, gesunde Luft und gesunde Bäume und so weiter. Es ist genau umgekehrt. Die Armen sind auf Umwelt angewiesen. Die Reichen können sich irgendwelche Oasen aussuchen, in denen die Umwelt noch gesund ist. Bei uns ist es tatsächlich genau wie sie sagen, dass wir dafür sorgen müssen das die Ärmeren Familien nicht ökonomisch leiden unter dem was ökologisch notwendig ist. Das kann man ohne weiteres machen. Zum Beispiel kann meine eine CO2 Steuer so machen, dass einfach pro Tonne CO2 ziemlich viel gezahlt werden muss. Sagen wir mal Beispiel 100 Euro. Das dadurch eingenommene Geld, was durch den Staat eingenommen wird, wird pro Kopf der Bevölkerung zurückverteilt. Die Armen kriegen genauso so viel wie die Reichen. Aber die Armen pusten weniger Co2 aus als die Reichen. Also werden durch diesen Umverteilungsmechanismus die Armen reicher und die Reichen ärmer.
Raina: Sie sind ja auch Autor und sprechen in ihren Büchern oft von einer vollen Welt. Das unsere Denkgewohnheiten, welche aus dem Zeitalter der Aufklärung stammen heutzutage unangemessen sind. Und nun ist es ja so das Deutschland als sehr weit entwickelter Industriestaat eine gewisse Verantwortung gegenüber den ganzen anderen Ländern in der Welt hat, weil wir nun ja eine volle Welt sind. Denken Sie denn, dass es zum Beispiel für Entwicklungsländer gerechtfertigt wäre auf Grund des Wirtschaftswachstumes auf weniger nachhaltigere Alternativen zurückzugreifen?
Prof. Dr. Weizsäcker: Zunächst einmal muss ich sagen, dass diese Unterscheidung in leere Welt und voller Welt ist nicht von mir, sondern von Professor Dr. Herman Daly. Der war Chefökonom der Weltbank, also nicht unbedingt ein grüner Spinner. Der sagte nur: Real, vor 20.000 tausend oder 200.000 Jahren in der Steinzeit oder Silberzeit, da waren die Menschen eine verschwindend kleine Menge und selbst noch zur Zeit von Montesquieu und Immanuel Kant, hatten wir nur ungefähr ein Zehntel der Menschen wie heute und nur etwa ein Hundertstel des ökonomischen Umsatzes von heute. Das war die leere Welt. Damals wurde man berühmt als Erfinder oder als Entdecker, de facto als Räuber als Kolonisatoren die Afrika unterworfen haben, das waren in Europa Helden. Das war gemein gegen Afrika, aber für die Natur war das noch aushaltbar. Die volle Welt ist neu. Seit ungefähr 1950 geht es raketenartig nach oben. Jetzt kriegen wir auf einmal Probleme, dass die biologische Vielfalt kaputt geht, dass das Klima kaputt geht, das an vielen Stellen Wasserknappheit plötzlich da ist und so weiter. Das ist das Phänomen der vollen Welt. Das ist ein Negativwort. Das ist eine Schädigung gewesen. Jetzt muss man fragen, wie reagiert man darauf. Da gibt es sehr verschiedene Dinge. Das eine ist, zur Zeit der Steinzeit war es für das Überleben der Menschheit wichtig, dass Frauen zehn bis 20 Kinder kriegen konnten. Sonst wäre die Menschheit ausgestorben bei der Säuglings- und Kindersterblichkeit oder Hungersnöten. Alles das was so passierte. Aber heute, in der vollen Welt, sind ein bis zwei Kinder das richtige Maß der Familie. Und in China, Deutschland, Italien und in vielen anderen Ländern hat man das längst begriffen, dass die Stabilisierung der Bevölkerung gut für das Land, gut für die Bevölkerung ist. In der Mehrzahl der afrikanischen Länder ist das leider noch nicht angekommen. Das ist sehr wichtig, dass Afrika und auch andere Länder merken, dass wir Bevölkerungsstabilisierung als sehr wichtiges Ziel brauchen. Aber um wieder auf Ihre Frage zurückzukommen. Es ist vollkommen richtig, dass die klimafreundlichen Technologien so künstlich verbilligt werden müssen, dass auch die ärmeren Menschen und auch die ärmeren Nationen davon etwas haben können. Und es ist nicht einfach zu teuer wäre. Das ist eine politische Aufgabe. Davon muss man dann die Reichen und die Produzenten überzeugen, dass es wichtig ist, dass die ganze Welt etwas davon hat und nicht nur die Reichen. Das sind zwei sehr verschiedene Dinge. Das eine ist das Kinderkriegen und das andere ist die Erschwinglichkeit und die Vorteile der modernen Technologie. Das sind die Dinge, die man sich im Einzelnen angucken muss. Da kann man nicht mit einer Pauschalantwort kommen.
Raina: Um die Denkgewohnheiten noch einmal anzusprechen. Das was wir hier brauchen ist essenziell ein Paradigmenwechsel, der ja schon oft in Industrieländern erfolgt ist, weil viel mehr Leute hier einen höheren Bildungsstandard haben. In vielen Ländern in z.B. Afrika oder generell im globalen Süden ist Bildung ja genau das was fehlt. Wie kann Deutschlands da, als Industriestaat beisteuern? Sie sind ja hier auch beim World Future Council Ehrenratsmitglied und deswegen schauen Sie sich ja nicht nur Deutschland an, sondern die ganze Welt.
Prof. Dr. Weizsäcker: Ich finde es großartig, dass der WFC sich genau diese Art von Fragen stellt und dabei zu dem Ergebnis kommt: Es muss eine Kooperation zwischen Nord und Süd geben. Wobei der Norden das Wissen, die Technologie und das notwendige Geld zum Einkauf dieser Technologien und zur Bildungsentwicklung zu einem erheblichen Teil beigesteuert wird. Aus Gerechtigkeitsgründen und auch aus Glaubwürdigkeitsgründen. Ich bin überzeugt, dass es für Entwicklungshilfe Agenturen im Norden und im für die Länder des Nordens ausgesprochen nützlich ist, wenn dafür gesorgt wird das im Süden die Bildung und auch die technische Bildung, die berufliche Bildung und auch die Technik Fortentwicklung auf Universitätsniveau richtig vorankommt. Dann werden das nämlich Partner und nicht Hungerleider.
Raina: Ich glaube Hilfe zur Selbsthilfe ist hier ein sehr gutes Stichwort. So dass Entwicklungsländer nicht von uns abhängig gemacht werden, sondern sie sich selbst helfen können sich zu entwickeln.
Prof. Dr. Weizsäcker: Absolut
Raina: Sie unterstützen ja den WFC und haben eine besondere Leidenschaft für die Rechte von zukünftigen Generationen. Was ist für Sie denn ein Recht was Ihnen besonders wichtig ist oder was momentan besonders wichtig ist, was bewahrt werden muss für zukünftige Generationen?
Prof. Dr. Weizsäcker: Also ich würde sagen ein Recht auf Bildung ist ein Teil der Menschenrechte. Es soll nicht sein, dass irgendeine Familie zu arm ist, um ihren Kindern einen Zugang zur Schule zu ermöglichen. Das darf nicht sein. Das muss aber in erster Linie das betreffende Land organisieren. Dann wird übrigens das betroffene Land auch reicher. Dafür muss aber auch der Norden dafür sorgen, dass nicht durch irgendwelche Barrieren die anderen arm gehalten werden. Wir müssen einen fairen Nord-Süd Warenaustausch, und Geldaustausch, Bildungsaustausch haben. Also wenn ich an der Universität Freiburg Vorlesungen halte, übrigens auf Englisch, dann sind etwa die Hälfte der Studierenden aus Entwicklungsländern. Die sind dann immer ganz glücklich, wenn ich so rede, wie sie es gewöhnt sind aus ihrem eigenen Land. Wenn ich also nicht die Arroganz des Nordens rauslasse, sondern sage: Jetzt will ich euch erstmal gut zuhören. Wo liegen eure Probleme? Ihr habt ja die meisten Sachen schon einmal durchdacht. Dann komme ich mit Lösungsangeboten und frage dann immer wieder: Oder ist euch das noch nicht richtig glaubwürdig?
Da muss ein Dialog entstehen. Dazu sollten auch die deutschen Professoren beitragen. Ich tu das selbstverständlich, weil ich das wichtig finde. Es gibt manche Professoren die sitzen auf dem hohen Ross und sagen also, wenn die Leute aus dem „Kaffé-Land“ das nicht verstehen, dann sollen sie wegbleiben. So Leute hat es immer wieder gegeben.
Raina: Der WFC identifiziert und verbreitet gute und zukunftsgerechte politische Lösungen. Was denken Sie welche Rolle Politik bei der Bekämpfung des Klimawandels spielt und sollten Politiker und Politikerinnen mehr auf die Meinung von jungen Menschen hören?
Prof. Dr. Weizsäcker: Das letzte auf jeden Fall. Wenn junge Menschen wie bei „Fridays for Future“, welche auf die Straße gehen oder auch ohne Straßendemonstrationen mitteilen, was sie wichtig finden auch in Schulklassen, da sollte man unbedingt zuhören. Im Übrigen sollte man unbedingt darauf achten, dass der Staat durch die Rahmensetzung die Wirtschaft sehr stark beeinflussen kann und soll. Es gibt eine sogenannte neoliberale Ideologie, die sagt der Staat soll sich überall raushalten, der Markt wird es richten. Der wird dafür sorgen, dass das Geld immer in die richtige Richtung fliest. Dies ist eine Illusion. Wir brauchen dringend den Staat der Eingriffe macht, damit es mehr und mehr, das müsste von Jahr zu Jahr besser werden, lukrativer wird das Richtige zu tun für die Zukunft. Und für die eigene Geldbörse schlimmer oder schlechter wird, wenn etwas getan wird, was die Zukunft, die Klimazukunft und dergleichen schädigt. Diese Rahmensetzung die kriegt der Markt nie zustande. Das muss der Staat machen. Also von daher habe ich immer viel Streit, im angelsächsischen Raum. Es gibt in der USA, zum Teil aber auch in Australien, England und sonst wo, eine ziemlich fest verankerte Meinung: Der Staat ist ein lästiges Übel, wir können es nicht abschaffen. Der Markt ist die eigentliche Suchmaschine, um richtige Lösungen zu finden. Und dann immer die billigste. Da kommt Ramsch raus.
Raina: Sie haben ja in ihrem Ansatz: „Aufklärung 2.0“ für Balancefaktoren beworben, wie z.B. damit der Staat und der freie Markt ausbalanciert werden können oder Innovation und was sich bereits bewährt hat. Jetzt haben sie ja gerade angesprochen, dass der Staat sehr wichtig als Regulator ist. Damit auch diese Balance auch gehalten werden kann. Was denken Sie sind hier weitere Herausforderungen oder Dinge, woran es scheitern könnte, dass diese Balance weiterhin dableibt? (41:42)
Prof. Dr. Weizsäcker: Also zunächst einmal, in diesem betreffenden Kapitel aus dem Buch „Wir sind dran“ meinen wir, dass die im Westen relativ weit verbreitete Rechthaberei nicht schöpferisch ist. Dagegen die Balance die in dem asiatischen Symbol Ying und Yang, schwarze und weiße Hälfte, die ineinander verflochten sind, die symbolisieren eine Balance. Das ist tendenziell fruchtbringender für neue interessante Lösungen. Da sagen wir dann in diesem Buch, wir im Westen, in Nordamerika, in Europa müssen von Asien lernen. Und an manchen Stellen sage ich auch, dass wir von Afrika lernen müssen. Das Prinzip der Ubuntu, wo ich dadurch definiert bin, wie andere Menschen mich sehen. Ich bin also nicht ein anatomisches Gerippe, sondern ein Produkt der Gemeinschaft. Das sind auch solche Balanceerscheinungen, die in der dogmatisierten Rechthaberei Zivilisation nicht zu Trage kommen, was ein Jammer ist. Dann haben wir ein Dutzend Beispiele genommen, wo Balance bessere Ergebnisse erzeugt als Rechthaberei. Ich bin übrigens beeindruckt davon, wieviel sie von diesem Buch schon verstanden haben.
Raina: Sie hatten vorhin schon einmal angesprochen, dass viele Lösungsvorschläge jetzt schon da sind, aber sie abgelehnt werden, weil sie als zu radikal angesehen werden. Oder weil Leute denken, dass es der Wirtschaft schadet, wenn man auf Klimafreundliche Alternative umsteigt. Wie denken Sie denn, dass es jetzt trotzdem gelingen kann, können Sie ein konkretes Beispiel nennen was Ihnen schon im Leben begegnet ist?
Prof. Dr. Weizsäcker: Da ist eine sehr komplexe Frage. Die Beispiele geben dann immer nur einen kleinen Punkt wieder. Nehmen wir mal an wir reden über die Stahlindustrie, die sehr viele Klimaschäden anrichtet. Da kann man drei sehr verschiedene Dinge machen. Zu einem kann man statt Koks und Kohle, Solar hergestellten Wasserstoff als Energiequelle für die notwendige Hitze im Stahlwerk macht. Das zweite ist, dass man Stahl nach dem Lebensende eines Geräts, wieder möglichst vollständig recycliert. Also Kreislaufwirtschaft. Dafür braucht man nicht dreimal zu schmelzen, nur einmal. Das dritte ist, dass man Stahl einsetzt zum Beispiel für Windräder. Die brauchen auch Stahl. Oder für eine bestimmte Sorte an Motoren, die höhere Temperaturen aushalten und auf diese Weise die Effizienz des Motors, Mobilität pro eingesetzten Treibstoff deutlich verbessert. Also Stahl als Hilfe für Effizienz. Das sind drei sehr verschieden Mechanismen. Alle im Zusammenhang mit Stahl. Und alles mit der richtigen Zielsetzung, Richtung Klimaschutz.
Raina: Sie sagten vorhin, dass sie sich mit Greta Thunberg angefreundet haben. Ich habe Greta tatsächlich auch schon einmal getroffen. Und zwar bin ich ihr und 14 andere Kinder und Jugendlichen Teil einer Beschwerde vor dem UN-Kinderrechtsausschuss, weil wir der Meinung sind, dass durch den Klimawandel unsere Kinderrechte verletzt werden. Und nun gibt es das Gesetzt auf eine gesunde Umwelt noch nicht in der Kinderrechtskonvention. Das ist aber ein aktuelles Thema was momentan diskutiert wird. Was sagen sie denn dazu?
Prof. Dr. Weizsäcker: Ich bin eindeutig dafür, dass ein solches Recht eingeführt wird.
Raina: Dieses Ziel liegt ja immer in der Zukunft und sie sind ja sowohl Teil des WFC als auch des Club of Roma. Die beide sehr zukunftsorientierte Organisationen sind, würde ich mal sagen. Sie sprechen oft von einer „Jetzt-Besoffenheit“ unserer Kultur. Also das Leute kein Interesse haben in die Zukunft zu investieren, weil sie die Veränderung am liebsten jetzt sehen wollen. Die „Jetzt-Besoffenheit“ steht uns ja oft im Weg, vor allem wenn es um Klimaschutz geht. Was denken Sie wäre eine Möglichkeit, um dagegen zu steuern?
Prof. Dr. Weizsäcker: Also will ich vor allem eine kleine Geschichte erzählen. Der im Fernsehen bekannte Arzt Dr. Eckhart von Hirschhausen, hat uns Zuhause besucht, da fragte er mich über ein Problem und ich sagte, das ist die “Jetzt-Besoffenheit“. Das hat ihn begeistert und er meinte, dass brauchen wir jetzt das Wort.
Dann habe ich ihm erläutert, was das Wort bedeutet. Also in der Twitter Generation ist ein Twitter der eine Minute alt ist, mittelalt. Der ist weg, der ist nicht mehr vorhanden. Es gilt nur noch das was jetzt gerade passiert. Das ist eine Mentalität, das ist eine Art von Besoffenheit. Vergangenheit kommt gar nicht mehr zu Wort und Zukunft ist weit, weit weg. Diese Zivilisationskrankheit muss überwunden werden. Auch in er jungen Generation selbstverständlich Es gibt viel mehr junge Twitterer als Alte. Und deswegen finde ich es sehr wichtig, dass auch Zeiteinteilung in einer vernünftigen Balance sein sollte. Wenn Sie Hunger haben wollen sie lieber jetzt essen und nicht erst in 30 Jahren, dann sind die längst verhungert. Vollkommen legitim. Aber wenn sie ans Klima denken, müssen sie bitte schon in Jahrzehnten denken und nicht nur was heute und in ein paar Stunden passiert. Also Balance zwischen Kurzfrist und Langfrist, das ist eine Art von Zivilisationstugend. Die es übrigens schon bei den alten Griechen gab. Das ist durch die Hektik der Innovationsmaschine der Ökonomen und Technologen weitestgehend verloren gegangene. Da gibt es eine Einengung auf das jetzt. Und da ist ein schwerer zivilisatorischer Fehler.
Raina: Wir befinden uns ja gerade in der Corona Pandemie, was ja für viele von uns durchaus eine Veränderung in den Denkgewohnheiten verursacht hat. Und Wissenschaftler sagen ja nun seit mehreren Jahrzehnten, wenn es mit dem Klimawandel so weiter geht, dass solche Pandemien stärker und häufiger auftreten können. Denken Sie denn das die Pandemien gezielt gegen die „Jetz-Besoffenheit“ wirken konnte?
Prof. Dr. Weizsäcker: Ja und Nein. Also erstens, die „Jetzt-Besoffenheit“ macht uns nicht sonderlich erfinderisch für Impfmechanismen, Resistenzmechanismen, Abwehr von neuen Krankheitskeimen und so weiter. Da muss man schon ziemlich sauber biochemisch, medizinisch und so weiter, arbeiten. Das ist harte Arbeit.
Zweitens gibt es ja zwei sehr unterschiedliche, fast konträre Arten mit der Krise umzugehen. Das eine sind Leute wie Sie und ich, wir halten das „Home-Office“ einigermaßen aus. Wir denken ein Jahr später, es gab erstaunlich viele Sachen, die man genauso durch gutes Denken und einen vernünftigen Computer erledigen kann. Dafür braucht man nicht schnell mal nach Peking düsen oder irgendwo anders. Oder nach Teneriffa. Also das würde ich sagen, dass ist die rationale Art von der Corona Krise zu lernen. Aber es gibt mindestens so viele, sogar eher dreimal so viele Leute, die sagen: Jetzt ist endlich diese entsetzliche Pest vorbei, jetzt gehen wir wieder aus. Und zwar nicht nur in die Fußballstadien, sondern in Massenflugzeuge nach „Malle“, Teneriffa und was es alles gibt. Das heißt also das unsere deutsche Zivilisation hat ungefähr zu einem Drittel, würde ich sagen, positiv gelernt von der Coronakrise und zwei Drittel hat gar nichts gelernt.
Raina: Was würden Sie denn sagen, ist die Nummer einer Sache, die sie während der Corona Krise gelernt haben?
Prof. Dr. Weizsäcker: Also ich habe eine neue Technik gelernt. Nämlich Zoom-Konferenzen. Wo man 20 verschiedene Gesichter auf dem Bildschirm sieht. Aber dann muss man auch einen guten Moderator oder eine gute Moderatorin haben, die dafür sorgt, dass nicht einer das Wort stiehlt. Aber im Übrigen habe ich damit doch größenordnungsmäßig, ein Dutzend internationale Konferenzen nicht mit dem Flugzeug oder anderer Weise, sondern am heimischen Schreibtisch erledigen können.
Raina: Das hört sich sehr schön an. Nun aber eher eine persönliche Frage. Wie würden Sie sich selbst beschreiben in drei Adjektiven?
Prof. Dr. Weizsäcker: Also ich halte mich für neugierig. Ich halte mich ein bisschen für einen Spinner, der er sich erlaubt auch mal freche Sachen zu denken, die eigentlich noch gar nicht dran sind. Und manchmal geht es schief und dann bin ich aber immerhin bereit zu merken, dass es schief gegangen ist. Im Übrigen bin ich gerne in Gemeinschaft. Und zwar egal mit welcher Altersklasse, mit den Jungen, mit meinen Gleichaltrigen. Wir leben in einem Haus, mit einer unserer Töchter und deren Mann und deren Kindern, also unseren Enkeln. Drei Generationen. Am Anfang waren wir sogar vier Generationen, da waren noch meine Schwiegereltern mit dabei, die waren schon über 90. Mit denen habe ich mich auch gerne unterhalten. Und zwar nicht, weil sie Familie waren, sondern weil ich mal die ganz Alten gesehen und erlebt habe. Ist doch auch was Schönes.
Raina: Das hört sich so an, als ob sie einen sehr intergenerationalen Alltag hätten?
Prof. Dr. Weizsäcker: So ist es.
Raina: Wenn Sie jetzt in die Zukunft blicken, sogar in die Zukunft ihrer Enkelkinder, sind sie da hoffnungsvoll?
Prof. Dr. Weizsäcker: Also ich bin immer hoffnungsvoll. Selbstverständlich. Aber ich lasse nicht aus, die gewisse Mahnung an die junge Generation: Liebe Freunde ihr müsst auch einiges selber tun. Es kommt nicht einfach wie zu Weihnachten als Geschenk der Eltern und Großeltern.
Raina: Und vielleicht noch in Blick auf den Klimawandel, sind Sie da hoffnungsvoll? Das die jüngeren Generationen das Problem bewältigen können, also wenn sie älter sind?
Prof. Dr. Weizsäcker: Die jüngere Generation wird gezwungen sich anzupassen, an zum Teil äußerst unerfreuliche klimatische Erscheinungen. Aber gleichzeitig ist sie aufgefordert, in den Gedankengängen, über die wir jetzt die Stunde gesprochen haben, weiterzuarbeiten bis echte Lösungen zustanden kommen. So dass danach die Schäden langsam sich wieder zurückziehen.
Raina: Noch eine Frage. Was ist ihrer Meinung zu dem Sinn des Lebens? Was ist spezifisch, denken Sie der Sinn ihres Lebens?
Prof. Dr. Weizsäcker: Ich nehme manchen Ökonomen ein bisschen übel, dass sie alles aufs Geld reduzieren Auch das Glück. Natürlich ist es sehr viel angenehmer reich zu sein als arm. Aber man muss sich das Glück so vorstellen, dass unabhängig davon, ob jemand viel oder wenige Geld hat, dabei auch Lebensfreude gedeihen kann. Also ich würde sagen jede Generation denkt sich neue Formen des Wohlergehens aus. Und das ist legitim. Da sollen nicht die Alten sagen, das ist Mist. Sondern das sollen die Jungen auch für sich selber entwickeln, warum auch nicht.
Raina: Sie waren ja auch Mitglied des deutschen Bundestags. Was ist da das prägendste Ereignis, was sie heute noch mit sich tragen und gibt es vielleicht etwas was Sie in der Zeit über sich gelernt haben, was sehr überraschend für sie war?
Prof. Dr. Weizsäcker: Also da möchte ich ganz verschieden Dinge zu sagen. Ich habe gelernt von meinem Freund Hermann Scheer. Das man schon einmal eine Rahmenveränderung durchsetzen kann, die am Anfang noch ökonomisch ziemlich kühn aussieht, aber dann 20 Jahre später, sich als ein Segen für die Menschheit herausstellt. Also es gibt Leute in Afrika, Japan, Südamerika die sagen: Zum Glück haben diese komischen Deutschen, das erneuerbare Energien Gesetz durchgesetzt. Seither sinken diese Kosten für Photovoltaikstrom ständig. Das war für uns noch gar nicht so vorstellbar. Das war ein großer Erfolg, für mich. Eine völlig andere Sache ist die. Ich habe natürlich auch manchmal als Vorsitzender eines Ausschusses, eine öffentliche Anhörung gemacht. Dann wurden Wissenschaftler eingeladen, als Gelehrte. Dabei ist mir dann aufgefallen, dass in vielen Fällen die Fragen und Mutmaßungen der Politiker, besser waren als die Antworten. Diese Wissenschaftler hatten wenig Gespür dafür, wo eigentlich das politische Problem liegt Die wussten ganz viel über Mathematik, Chemie und ich weiß was alles. Das war im Großen und Ganzen in Ordnung. Aber eine für die Politik brauchbare handhabbare und effektive Veränderung, da sind die angehörten Wissenschaftler heute völlig ignorant gewesen. Und die Politiker auf, die sehr viele Leute schimpfen, waren erstaunlich realistisch. Ich habe dabei furchtbar viel gelernt, ich habe da mehr gelernt als in meiner eigenen Universitätszeit. Also da sind tolle Erfahrungen gewesen.
Raina: Vielen Dank. Gibt es da noch eine Frage, die sie noch an mich oder an das WFC haben?
Prof. Dr. Weizsäcker: Hätten Sie in ihrer Generation hinreichend viele, die bereit wären sich dem mühsamen und oft unpopulären Geschäft der Politik zu widmen?
Raina: Das ist eine sehr gute Frage. Ich denke, dass ich das schwer beurteilen kann, weil ich in dieser sogenannten „Bubble“ bin, wo viele Leute auch politisch interessiert sind. Was man ja auch in gewisser Hinsicht sein muss, wenn man sich für den Klimaschutz interessiert, denn ein sehr großer Teil davon ist nun mal die Politik. Ich denke schon, dass es genug Leute geben wird. Die Frage ist dann natürlich, sind das auch qualitative Leute. Das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen blöd an. Aber es geht, ja hier hauptsächlich um die Qualität dann der nächsten Politiker und nicht um die Quantität. Persönlich bin ich hoffnungsvoll. Wenn ich auf die „Friday for Future“ Streiks gehe und mich dort mit jungen Leuten unterhalte, die sehr revolutionär Ansätze und Idee haben. Deswegen bleibe ich einfach hoffnungsvoll genauso wie Sie.
Prof. Dr. Weizsäcker: Sehr schön!
Raina: Vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit genommen haben, und es hat mich sehr gefreut mit Ihnen zu sprechen.